Physiotherapeut Gunther Schmidt kämpft für bessere Berufsbedingungen.
Bretten-Neibsheim. Jeder, der akute gesundheitliche Probleme hat, kann davon ein Lied singen: Bis man eine Diagnose und eine adäquate Behandlung hat, können Wochen vergehen. Wochen, in denen man an schlimmen Schmerzen leidet, in denen man nicht arbeiten kann, in denen man am deutschen Gesundheitssystem zweifelt. Auch die andere Seite stellt dieses System immer mehr in Frage: Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden, alle, die unter dem Überbegriff “Heilmittelerbringer” subsumiert werden, machen deutschlandweit auf ihre Situation und die ihrer Patienten aufmerksam. Einer von ihnen ist Gunther Schmidt aus Bretten-Neibsheim.
Inspiriert vom Frankfurter Kollegen Heiko Schneider, der den Protest unter dem Stichwort “Therapeuten am Limit” initiiert hatte, setzte Schmidt sich im Frühjahr an seinen Schreibtisch und schrieb einen ausführlichen Brief über die zunehmend unerträgliche Situation an Landrat Christoph Schnaudigel. “Schlussendlich sind ja die Landkreise dafür verantwortlich, dass eine Patientenversorgung gewährleistet ist”, erläutert Schmidt. Und die sehen Therapeuten landesweit erheblich in Gefahr. Vom Landrat aber kam keinerlei Antwort.
Eine schnelle Reaktion hingegen kam von Stadträtin Ute Kratzmeier (Grüne), der Schmidt ebenfalls sein Schreiben zukommen ließ. Über sie gelangte sein Anliegen an die Landtagsabgeordnete Andrea Schwarz und den Bundestagsabgeordneten Danyal Bayaz (beide ebenfalls Grüne). Alle drei machten sich ein Bild vor Ort in Schmidts Praxis.
Als größtes Problem sieht Schmidt die Versorgungsengpässe. Zurückzuführen seien sie einerseits auf die Budgetierung der Ärzte. Vereinfacht gesprochen: Jeder Arzt hat ein bestimmtes Kontingent, das er verschreiben darf. Hält er es nicht ein, ist er regresspflichtig. Ein Patient von Schmidt, dessen Hausarzt genau das passiert war, bezeugte dieses Vorgehen beim Termin eindrücklich. Der 60-Jährige hatte einen Schlaganfall erlitten. Mit Schmidts Hilfe konnte er gute Fortschritte machen. Jetzt darf sein Arzt aber nichts mehr verschreiben, sondern hat ihn stattdessen an einen Neurologen überwiesen. “Der nächste Termin, den ich bekommen konnte, ist im Oktober”, berichtete der Patient sichtlich mitgenommen. Bis dahin kann er also die dringend notwendige Therapie nicht fortsetzen. “Wenn es ans Eingemachte geht, versagt das Gesundheitssystem”. zeigte sich Schmidt empört.
Auf der anderen Seite gibt es immer weniger Therapeuten. Da es um ihre wirtschaftliche Situation nicht zum Besten steht, geben immer mehr ihren Beruf auf. Der Verdienst eines Physiotherapeuten, der das Schulgeld für seine dreijährige Ausbildung aus selbst finanzieren muss, liegt unter dem deutschen Durchschnittsgehalt. Große Engpässe gibt es etwa bei der manuellen Lymphdrainage (ML). Sie ist bei Schwellungen, etwas nach einer Operation, dringend notwendig für die Wundheilung. Immer weniger Therapeuten bieten ML an, denn die Fortbildung dazu dauert Wochen und kostet 5.000 Euro, bei der Anwendung vergüten die Krankenkassen sie aber schlechter als Krankengymnastik.
Generell sehen Schmidt und seine Kollegen die Rahmenbedingungen der Krankenkassen kritisch. Angefangen bei den Behandlungszeiten, die seit ca. 1990 von 30 Minuten auf 15-25 Minuten reduziert wurden. Therapeuten entscheiden also selbst, wie lange sie in diesem Rahmen behandeln, bekommen aber immer das gleiche Geld. “Damit ist alles über 15 Minuten ein Geschenk”, erläutert Schmidt, der jede Behandlung auf 25 Minuten ansetzt. “Bei den allermeisten Patienten ist das nötig.” Als ganz großes Übel sieht der engagierte Therapeut die sogenannte “Absetzungen”. Er muss jedes Rezept, das ein Arzt ausgestellt hat, auf Fehler prüfen und gegebenenfalls korrigieren lassen. Vom bürokratischen Aufwand abgesehen: Selbst wenn nur die Prüfziffer für die Statistik falsch ist und er behandelt hat, bekommt er dafür kein Geld von der Krankenkasse.
Die Abgeordneten signalisierten großes Verständnis für Schmidts Empörung und versprachen, was ihnen möglich ist, weiterzutragen. Manches, wie die Schulgeldbefreiung oder eine moderate Anhebung der Leistungsvergütung seien schon in die Wege geleitet oder realisiert. Aber die Balance zwischen wirtschaftlichem Denken – immerhin erwirtschaften Krankenkassen seit Jahren Überschüsse in Milliardenhöhe – und der Qualität in der Patientenversorgung sei nach wie vor in Schieflage.
Schmidt zeigte sich nach dem Termin erleichtert. “Es hat sich schon ein bisschen was bewegt. Ich hoffe, es geht noch mehr.”
Quelle: Brettener Woche | Mittwoch, 17. Juli 2019 | S. 9 | Autorin: Katrin Gerweck | Mit freundlicher Genehmigung der Brettener Woche